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Mein früherer Kollege bei der hiesigen Tageszeitung Christian Stelzer hat mich auf eine Broschüre aufmerksam gemacht, die er bereits 2020 vorgelegt hat und die in der Schriftenreihe des Regionalmuseums Neubrandenburg unter der Nummer 53 erschienen ist. “Allee, Asphalt und Automobilisten” ist das doch stolze 150 Seiten starke Heft betitelt, in der der Vier-Tore-Städter die Geschichte der Bundesstraße 96 im Abschnitt zwischen Berlin und Sassnitz aufarbeitet. Nicht zuletzt angesichts der umstrittenen Ausbaupläne für die Bundesstraße in unserer Region ist die reichbebilderte Edition auch drei Jahre nach Erscheinen lesenswert.

Das Geleitwort hat Jens Krage geschrieben, kein Geringerer, als der Chef des Straßenbauamtes Neustrelitz. Immerhin. Durch seinen Verantwortungsbereich verläuft der größte Teil des angeführten Teilstücks der geschichtsträchtigen Straße. Natürlich enthält sich Krage, den ich sehr schätze, jeglichen Kommentars zur derzeitigen Diskussion um das Erweiterungsvorhaben. Das wäre von einem bediensteten Mann in seiner Position sicherlich auch zu viel verlangt. Angesichts der Bürgerinitiativen sind hier die Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sowie die Bundespolitik gefordert.

Übrigens wurde schon 1925 zwischen Neustrelitz und Altstrelitz im damaligen Verlauf der Straße, lange vor der heutigen Ortsumgehung, um den Fortbestand einer Lindenallee gekämpft. Und ein Jahr später sorgte die Radfahrerlobby für Schlagzeilen, diesmal in Neubrandenburg. Ab 1924 eroberte nämlich die Motorkraft die Straße, nachdem die “96” vom Weg zur Chaussee geworden war. Und schnell waren auch Autowanderer Thema, die Richtung Ostsee und über den 1936 eröffneten Rügendamm unterwegs waren. Gleichzeitig nahmen Verkehrsdichte und Unfallzahlen zu. Um die Durchlassfähigkeit zu erhöhen, wurde bereits in den 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts über Ortsumgehungen im Verlauf der Reichsstraße 96 nachgedacht. Ausgebremst wurden alle Planungen durch den Krieg. An seinem Ende wurde die “96” für KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen und Ravensbrück zur Straße des Todes.

Es folgt das DDR-Kapitel F (Fernverkehrsstraße) 96. Eine Verkehrszählung von 1969 zwischen Neubrandenburg und Neustrelitz ergibt das Vierfache der Vorkriegsbelegung. Mehrere Streckenabschnitte werden “ertüchtigt”, ein Begriff, der sich neudeutsch allerdings erst nach der politischen Wende einschlich. Autor Christian Stelzer hat den Fokus immer auf Neubrandenburg mit dem Knotenpunkt Pferdemarkt und Neustrelitz zwischen Alt und Neu, ohne allerdings Schauplätze wie die Peene-Brücke Jarmen, die Trasse zwischen Greifswald und Stralsund oder die Dorfgaststätte Krohn in Usadel, einschließlich späterem Mitropa-Hotel, und die Raststätte Klatzower Berg nördlich von Altentreptow zu vergessen. Oder die Probleme der Schweden via Trelleborg-Fähre. Die Skandinavier stellten sich erst 1967 vom Links- auf den Rechtsverkehr um. Der Autor ist da gründlich, ein Grund mehr, seine gebündelt niedergeschriebenen Rechercheergebnisse zu empfehlen.

Die 1993 und 2020 fertiggestellten Ortsumgehungen Neustrelitz und Neubrandenburg runden den literarischen Ausflug in die Geschichte der B 96 ab. Zum Ausklang gibt es die Erinnerungen eines Transitfahrers und einen Rückblick auf spektakuläre Unfälle. Christian Stelzer hat mit seiner umfassenden Materialsammlung, eingängig niedergeschrieben, zumindest bei mir erreicht, dass ich auf der B 96 jetzt ein bisschen informierter unterwegs bin. Mehr kann ein Leser, Auto- und Rollerfahrer, zumal von hier, nicht erwarten. Ich empfehle die Lektüre unbedingt.

ISBN 978-3-939779-41-4