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Großes Theater: Lisa Scheibner, Matthias Horn, Helene Grass und Karen Kanke (von links). Fotos: Christian Brachwitz

Was für ein großartiger, begeisternder Theaterabend gestern in Neustrelitz. Vor ausverkauftem Haus wurde die Premiere von “Über Menschen” nach dem Roman von Juli Zeh gefeiert. Es gab minutenlangen Beifall und Hochrufe für die Akteure. Der Applaus steigerte sich noch, als Schauspieldirektorin Tatjana Rese auf die Bühne kam, die die Theaterfassung der ebenso ernsten wie humorvollen Vorlage besorgt hat. Nach “Unterleuten” 2019 ist es der Regisseurin zum zweiten Mal gelungen, einen mitten aus unserem Leben im ländlichen Raum gleich um die brandenburgische Ecke entstandenen Bestseller von Juli Zeh erfolgreich für das Theater zu adaptieren, und das ohne nennenswerten Substanzverlust.

Ein großer Wurf, der da geglückt ist. Dabei war es ein gewiss nicht leichtes Unterfangen. Von gleich drei belesenen Premierenbesuchern gestern habe ich im Foyer gehört, sie konnten sich überhaupt nicht vorstellen, wie man die Bücher von Juli Zeh auf die Bühne bringen kann. Tatjana Rese jedenfalls kann es eindrucksvoll. Ich bedauere es an dieser Selle einmal mehr, dass sie mit Ende der Spielzeit das Landestheater und damit uns verlässt. Wo doch eben Juli Zehs “Zwischen Welten” erschienen ist… Wieder treffen Städter auf Landbewohner, das Thema scheint unerschöpflich. Es sind große Fußstapfen, in die Reses Nachfolger Maik Priebe (Strelitzius berichtete) zum 1. August treten wird. Das schon mal vorab. Aber der Neue ist ja nun auch kein heuriger Hase. Wir dürfen uns bei allem Bedauern über den Weggang auch freuen auf den Zugang.

Geniale Doppelbesetzung

Geradezu genial die Doppelbesetzung der zu Corona-Zeiten in der vermeintlichen Idylle von Bracken ankommenden Werbetexterin Dora durch Helene Grass und Lisa Scheibner, mal agierend, mal erzählend im steten Wechsel. Das war schon hohe Kunst, was die beiden Damen da abgeliefert haben, und keine stand der anderen nach. Als hätten sie sich gegenseitig zu Höchstleistungen befeuert. Schnell scheint das Landleben Zaun an Zaun mit dem arbeitslosen und vorbestraften Dorfnazi Gote (glänzend Matthias Horn) zwischen Alltagsrassismus und Rechtspopulismus zum Albtraum zu werden. Am Ende ist Juli Zeh zu zitieren. Die Autorin 2021: “Die Ansicht, dass Menschen, die man politisch ablehnt, grundsätzlich Idioten sind, hat etwas Kindliches. Es ist der Wunsch, Menschen nach Gut und Böse zu sortieren. Diese Neigung ist aber ziemlich ungesund, denn es ist der Versuch, aus der Ambivalenz der Realität zu fliehen.”

Helene Grass, Lisa Scheibner, Momo Böhnke und Robert Will (von links).

Sehr gut gefallen hat mir auch das Spiel von Robert Will und Momo Böhnke als zusammenlebende Männer Tom und Steffen. Böhnkes direkt ins Publikum gerichteter Monolog gegen Neonazis, das ging schon mächtig unter die Haut. Nicht minder berührend Anika Kleinke als Sadi, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, köstlich hingegen ihr Auftritt als Doras Arbeitgeberin Susanne per Videokonferenz. In weiteren prima ausgefüllten Rollen Karen Kanke, Dirk Schmidt, Thomas Pötzsch, Florian Rast, Felix Erdmann und Lothar Missuweit. Nicht zuletzt zu würdigen die Statisten, die unbedingt zur tollen Ensembleleistung beigetragen haben.

Für die Ausstattung von “Über Menschen” steht Norbert Bellen. Ein feines Stück Arbeit hat er da mit seinen Mitstreitern abgeliefert, von der sich wie von Geisterhand bewegenden ländlichen Schreibstube über die Videowand, von der unter anderem Astronaut Alexander Gerst an Bord der ISS grüßte, herabschwebenden Plüschtieren bis hin zum brennenden Autowrack wurden alle Register gezogen.

“Über Menschen” am Landestheater Neustrelitz, unbedingt zu empfehlen. “Die politische Relevanz ländlicher Gegenden ist unsere Zukunft” wird nicht umsonst im Untertitel betont. Nächste Vorstellungen am 4. und 10. März jeweils um 19.30 Uhr und am 26. März um 16 Uhr.

Helene Grass, Lisa Scheibner, Thomas Pötzsch (vorn von links).