Glosse

Als Vertreter der Generation Ü 60 verfüge ich über ein ausgezeichnetes Langzeitgedächtnis. Es wurde dieser Tage vom Supermarkt meines Vertrauens mal wieder aktiviert. Ich erinnerte mich unmittelbar vor den Fleischkühlschränken an den blöden Witz aus Schülerjahren, wo der Sieger eines Skatturniers gar nicht froh ist über seinen Erfolg, weil das gewonnene halbe Schwein auf dem Balkon immer umfällt. Und mir schoss wieder der Brüller ein, wie zwei Mitarbeiter eines Schlachthofes auf dem Beifahrersitz eines Trabbis ein mit Mantel und Hut verkleidetes Borstenvieh am Pförtner vorbeischmuggeln und der einen Lachkrampf kriegt, weil im Betrieb Kollegen arbeiten, die aussehen wie ein Schwein.
In der Tat wurde mir per Reklametafel in der Kaufhalle auf Vorbestellung ein halbes Schwein angeboten, grob zerlegt und zu einem Kilopreis, von dem ich mal vermute, dass er vorteilhaft ist. Statt die mir ebenfalls eingepflanzte Rechenmaschine anzuwerfen, wetzte ich in Gedanken die Messer und bezog auch mein sonstiges Sortiment an Heimwerkzeugen von der Kreissäge bis zu Hammer, Meißel und Beil ein. Denn nach der Grobzerlegung muss ja logisch die Feinzerlegung folgen. Streng genommen, ist ja ein halbes Schwein schon grob zerlegt. Wer weiß, welche handwerklichen Herausforderungen da noch lauern, da ist bestimmt mehr Virtuosität gefragt als beim Tranchieren der alljährlichen Weihnachtsente.
In meiner Familie gibt es über alle mir bekannten Generationen beklagenswerterweise keinen Fleischer. Einen Bauern gab es allerdings, der entfernte Onkel hat mich Großstadtpflanze im zarten Alter auch mal als Hilfskraft beim Schlachten eingesetzt. Aber so gut funktioniert mein Langzeitgedächtnis denn doch nicht. Blut rühren musste ich, und beim Wurstmachen hatte ich Jungspund schon einen Schnaps zu viel…
So richtig auf der Höhe der Zeit scheint mir das halbe Schwein auch nicht zu sein. Zwar raten die aus allen Löchern kriechenden Katastrophenpropheten zur Vorratshaltung. Aber für die längerfristige Unterbringung einer halbierten und zerlegten Sau bräuchten wir neben Kühlschrank und Gefrierschrank, beide ausgelastet, noch einen effizienten Stromfresser. Das bei angesagtem Energiesparen! Und dann bleibt der Saft aus der Dose weg. Und das Notstromaggregat hat andere Aufgaben, als sich um die 50 Prozent von dem ehemals ganzen Tier zu kümmern.
Also, das halbe Schwein und ich kommen denn doch nicht zusammen. Vielleicht wird im Einkaufsmarkt potentiellen Preppern demnächst ein halbes Rind angepriesen. Da könnte ich dann vor lauter Fleischeslust alle Bedenken fallen lassen und doch noch schwach werden.