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Glosse

Ich bin ein Opfer. Also nicht im Sinne der Anrede “Du Opfer”, womit irgendwelche unterbelichteten Jugendlichen unterlegene Altersgenossen betiteln und gegebenenfalls auch körperlich attackieren. Ich bin ein Opfer der Sparzwänge in meiner Zunft. Denn irgendwann gleich nach den Setzern flogen die Korrektoren in den Zeitungsverlagen raus, und wir Schreiberlinge mussten ohne sie auskommen. Was nicht einer gewissen kapitalistischen Logik entbehrte, denn erstens war der Computer samt Rechtschreibprogramm erfunden, und zweitens konnten die Journalisten noch Deutsch. Und nicht nur die. Auch die damals noch überschaubaren Werbeagenturen rekrutierten Personal, dass der hiesigen  Muttersprache mächtig war. Wer jetzt denkt, ich jammere den alten Zeiten nach, das nun nicht.

Aber, ich bin eben ein Opfer. Mein korrigierender Blick hat sich mangels Assistenten so geschärft, dass ich neuerdings selbst im Vorbeifahren Schaum vor den Mund bekomme, wenn ich lesen muss, wofür Leute viel Geld bezahlt haben. Meine Holde meint ja immer, dass das nur mir auffallen würde. Eben, dem Opfer!

Jedenfalls bringt mich der Kleidercontainer auf dem Netto-Parkplatz Ecke Drosedower Weg in Wesenberg immer wieder an den Rand eines Verkehrsunfalls. Da ist nämlich hilfreich alles dran aufgelistet, was einzuwerfen erlaubt ist. Darunter Reihe 5, erster Begriff von links die “Gardiene”. Für die, die diesen Opferbericht nicht lesen, sondern hören: Gardine mit einem langen “i”, also mit “ie”. Bevor das hier noch in eine Gardinenpredigt ausartet. Auch Maschine gehört zur Gattung mit dem kurzen “i”, und das sollen angeblich die Kinder schon in der Grundschule lernen. Hat mir jedenfalls eine Lehrerin verraten, die ich dieser Tage am orthografisch bedenklichen Behälter vorbeichauffiert habe. Und die sich sofort auf die Seite meiner besseren Hälfte schlug. Das könne ja wieder nur mir ins Auge springen.

Um nicht zu sagen, ins Auge stechen. Und so wird das Opfer dann auch noch zum Paria. Was bleibt dem Ausgestoßenen, um sein Gesicht zu wahren? Meine Gardine mit dem kurzen “i” werde ich jedenfalls dem Sammelbehälter nicht zuführen. Ordnung muss sein! Außerdem könnte mir meine ausrangierte Gardine irgendwann gar doch noch dienen. Ein paar Fenstervorhänge mit dem langen “i” werden sich im Zuge der neudeutschen Bewegung “Schreibe, wie du es hörst” bestimmt noch in der wohltätigen Box einfinden.  

Zum Kommentar (oben rechts) meiner Freundin Ulrike Bodinka aus Köln.