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Mai Colvin auf einer der Intensivstationen ihres Krankenhauses. Foto: privat

Der erschütternde Bericht einer Ärztin aus New York im Kampf um das Leben von Corona-Patienten hat mich erreicht. Er ist mir von Borwin Herzog zu Mecklenburg zugeleitet worden, der meinem Blog sehr verbunden ist. Die Intensivmedizinerin Mai Colvin ist eine Freundin der Großherzoglichen Familie. „Wer das liest, denkt nicht mehr über eine schnelle Lockerung unserer Beschränkungen nach“, schreibt mir Herzog Borwin. Hier die Zeilen der Ärztin vom 29. März:

Jedes Mal, wenn ich Berichte und Aufnahmen von Krankenhäusern in China und Italien sah, war ich besorgt, dass mein Krankenhaus eines Tages in naher Zukunft in einer ähnlichen Situation sein würde. Ich hatte wirklich gehofft, aber ich wusste, dass es eines Tages hierher kommt. Ich dachte, ich könnte mich darauf vorbereiten, aber ich war überhaupt nicht vorbereitet.

Jetzt steht die New Yorker Gesundheitsversorgung kurz vor dem Zusammenbruch. In meinem Krankenhaus ist die Zahl der COVID-Patienten in den letzten zwei Wochen von 1 auf 50, auf 200, auf 500 gestiegen in den letzten zwei Wochen gestiegen. Unsere Stationen waren sehr schnell gefüllt. Wir haben vier Intensivstationen in unserem Krankenhaus, aber sie sind alle mit COVID-Patienten belegt. Wir haben drei neue Intensivstationen geschaffen, aber das reicht immer noch nicht. Egal, wie viele Zustellbetten wir schaffen, es gibt immer mehr COVID-Patienten, die auf die Aufnahme warten. Wir haben keine Beatmungsgeräte mehr. Tatsächlich sind mehreren Krankenhäusern in New York bereits die Beatmungsgeräte ausgegangen. Viele der COVID-Patienten entwickeln Niereninsuffizienzen, und wir haben jetzt keine Dialysemaschinen mehr, deshalb gehen wir von der Hämodialyse zur Peritonealdialyse über. Ich habe noch nie davon gehört, dass ein Krankenhaus keine Beatmungs-und Dialysemaschinen mehr hat, bis zu dieser Krise.

Angenommen, es gibt zwei Patienten vor mir, die sofortige Intubation und Beatmungsunterstützung benötigen, aber was ist, wenn ich nur noch ein Beatmungsgerät übrig habe? Wenn ich als Intensivmedizinerin gezwungen werde, einen Patienten auszuwählen. Wen soll ich dann auswählen?

Angenommen, Notaufnahme und Stationen sind mit Patienten gefüllt, die auf die Intensivstation müssen, und dort wird ein Bett frei. Wie soll ich diesen einen Patienten auswählen, der auf die Intensivstation aufgenommen wird?

Das sind ohne Übertreibung die Szenarien, mit denen wir schon bald konfrontiert werden. Diese Woche fand eine Fakultätsitzung statt und wir haben dieses Thema besprochen. Wir müssen einen Patienten wählen, der höchstwahrscheinlich überlebt, basierend auf unserer Erfahrung und dem Zustand des Patienten. Ja, Alter und Begleiterkrankungen sind wichtig, aber es ist auf keinen Fall eine leichte Entscheidung.

COVID oder nicht, ich sehe viele Tote als Intensivmedizinerin, manchmal sogar täglich. Ich bin es gewohnt, mit den Familien über das Lebensende ihres geliebten Menschen zu sprechen. Aber was soll ich der Familie sagen, wenn ich ihrem Liebsten nicht einmal eine Chance geben kann zu überleben, nur weil wir nicht genug Beatmungsmittel haben?

Heutzutage könnte jeder in New York COVID haben, was bedeutet, dass keine Besucher die Patienten besuchen dürfen, während sie im Krankenhaus sind. Die einzige Ausnahme, die wir machen, ist, wenn ein Arzt feststellt, dass ein Patient innerhalb der nächsten 24 Stunden stirbt, dann darf ihn eine Person besuchen. Nur für fünf Minuten. Es ist herzzerreißend, Patienten allein im Krankenhaus leiden und kämpfen zu sehen.

Einige meiner Kollegen sind krank geworden. Auf meiner Intensivstation habe ich einen Arzt und eine Krankenschwester, die um ihr Leben kämpfen. Die Medien schreiben, dass nur ältere und die Patienten mit Begleiterkrankungen gefährdet sind. Allerdings habe ich innerhalb der letzten zwei Wochen viele junge Patienten ohne Begleiterkrankungen sterben sehen. Wir haben auch viele plötzliche Todesfälle gesehen. Ich habe mich vielen internationalen Konferenzgesprächen mit italienischen und chinesischen Ärzten angeschlossen, aber es gibt noch einiges, was wir nicht über diesen verrückten Virus wissen.

Egal, wie sehr ich versuche, zusätzliche Tage zu arbeiten, die COVID-Fälle klettern weiter und diese Schlacht scheint endlos. Schätzungsweise dauert es noch Wochen bis zum Höhepunkt. Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, wie dieses Krankenhaus in zwei bis drei Wochen aussehen wird. Meine größte Angst ist es, diesen Virus nach Hause zu bringen und meine Familie anzustecken.

In New York hatten wir erst Anfang des Monats eine Handvoll Fälle. Heute haben wir über 53.000. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft von New York, aber ich mache mir auch Sorgen um andere Städte. Viele der New Yorker haben wahrscheinlich nicht erwartet, dass die Dinge so schlecht werden. Viele der Patienten, die an COVID gestorben sind, dachten wahrscheinlich, bei mir wird es gut gehen. Selbst als die Leute Berichte aus China und Italien sahen, fühlten viele von ihnen wahrscheinlich, dass es etwas war, das weit weg passiert ist.

Es ist zu spät, wenn du dein Verhalten bereust, nachdem du oder dein geliebter Mensch ernsthaft erkrankt sind. Du hast zwar keine Symptome, aber du kannst das Virus auf viele andere verbreiten, die ein höheres Risiko tragen als du. In Japan gab es vor kurzem viele Menschen, die aus Europa und den USA zurückgekehrt sind. Es würde mich nicht wundern, wenn es in naher Zukunft eine größere zweite Welle gäbe, die Japan trifft. In New York waren die Leute vor knapp zwei Wochen ziemlich entspannt. Selbst nach der Abriegelung habe ich viele Leute draußen gesehen. Jetzt bleiben endlich die Leute drin, aber es ist viel zu spät.

Krankenhäuser sehen aus wie eine Szene aus der Hölle. Ich wünsche mir das wirklich nicht in anderen Städten. Ich hoffe wirklich, dass keine anderen Städte erleben müssen, was wir gerade durchmachen. Wenn du jetzt keine Maßnahmen ergreifst, kann jede Stadt das nächste New York sein… Ich weiß, dass es langweilig ist, zu Hause zu bleiben. Ich weiß, dass es schwer für die Kinder ist. Aber bitte, bitte bleibt zu Hause und nehmt soziale Distanz ernst, nur noch etwas länger. Bitte lernt aus New York.

Jetzt wo ich in dieser Situation bin, merke ich, dass ich viele einfache Dinge für selbstverständlich gehalten habe. All die kleinen Dinge, wie mit Freunden rumhängen, shoppen gehen, im Park spielen, zur Schule gehen usw. Wir alle haben großes Glück, dass wir all diese Dinge normalerweise ohne Sorge erledigen können. Wir haben so ein großes Glück, nur am Leben zu sein.

Ich hoffe, ich kann meine Kinder bald wieder küssen und umarmen beim Gute Nacht-Sagen, wie früher jeden Abend.